Neofaschistische Organisationen: Verbieten! Den Verfassungsschutz auch?

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Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Yunus Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat wurden zwischen den Jahren 2000 und 2006 von Neofaschisten aus nächster Nähe erschossen. Außerdem sollen der Mord an einer Polizisten und weitere Anschläge in Deutschland auf das Konto der Neofaschistische Terrorgruppe „NSU“ gehen. Dies ist umso bedenklicher, da der Verfassungsschutz offensichtlich direkte Verbindungen in diese rechte Gruppe unterhielt. Allerdings sind deren Verbrechen nur die Spitze des Eisberges: Mehr als 180 Menschen wurden seit 1990 Opfer rechter Gewalt. Die Frage ist, wo die Verfassungsschützer in diesen Fällen waren?

Womit haben wir es zu tun?

In den letzten Wochen wurden immer neue erschreckende Einzelheiten über die bewaffnete neofaschistische Gruppe „NSU“, deren Umfeld und die Verwicklungen des Verfassungsschutzes bekannt. Gestern lautete die Frage, ob und wie tief die Verfassungsschützer ins rechtsradikale Spektrum verwickelt sind und wem das nützt? Heute fragen wir, wie tief der neofaschistischen Gruppierungen und Terrorzellen in Verfassungsschutz oder andere Staatsicherheitsorgane eingeschleust und verankert sind und wohin das führt?

Stand der Dinge.

Nach heutigem Kenntnisstand gab es zu Beginn der Morde eindeutige Spuren und Hinweise, die ins rechtsextreme Milieu führten, aber nicht verfolgt wurden. Rassistische Motive wurden von der Politik, von den Ermittlern und von Journalisten bewusst außer Acht gelassen. Im Gegenteil: Nach Angaben der Behörden waren die Opfer in eine nicht näher bezeichnete organisierte Kriminalität aus der Türkei verwickelt. Mit der Ernennung der Sonderkommission „Bosporus“ wurde versucht, diese These noch zu stärken, und sogar die Angehörigen der Opfer gerieten unter Verdacht. Immer noch wird von den „Döner-Morden“ gesprochen, obwohl lange feststeht, dass die Opfer ihr Leben aus rassistischen Gründen verloren haben. Das beweist auch, wie stark der latente Rassismus noch in der Gesellschaft verankert ist.
Für Migranten nicht neu!

Diese Tatsache ist für uns Migrantinnen und Migranten nicht neu: Wir haben weder Mölln 1992, noch Solingen 1993 vergessen. Schreckliche Ereignisse wie diese sind in Deutschland die Folge der so genannten „Ausländerpolitik“, die ausgrenzend und rassistisch ist.
Neu ist nur, dass die Verflechtung zwischen Teilen des Staatsapparats und den neofaschistischen Mördern aufgeflogen ist und daher heute öffentlich darüber gesprochen wird.
Die deutschen Regierungen haben sich bisher ausschließlich mit den Linken und den „Islamisten“ beschäftigt und dabei die Augen vor dem Rechtextremismus verschlossen. Nach Angaben der Amadeu-Antonio-Stiftung haben nach der Wiedervereinigung 182 Menschen durch rechte Gewalt ihr Leben verloren, die Bundesregierung verkleinert diese Zahl auf 48. An wie vielen Morden der rechte Terror wirklich die Schuld trägt, ist nach den neuesten Informationen unbekannt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass noch weitere Naziterrorgruppen wie die „NSU“ existieren. Es muss endlich Klarheit über die tatsächliche Zahl von rechten Gewaltverbrechen geben.
Stattdessen werden seit vielen Jahren Gelder für Projekte gekürzt, die sich gegen rechte Tendenzen richten. Die Projekte bekommen keine Förderung, wenn sie nicht eine so genannte Extremismusklausel unterschreiben. Wir brauchen die Stärkung der Projekte und Organisationen gegen Neofaschismus und rechtsextreme Gewalt und die politische Anerkennung des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechts.

Was passiert seit dem 04. November?

Regierende und eine Reihe anderer Politikerinnen und Politiker vermeiden bei ihren Reden weiterhin, von Rechtsextremismus zu sprechen. Schließlich geht es nicht nur um Menschen, sondern auch um das Ansehen und den guten Ruf des Landes.
Unter den Politikerinnen und Politikern, die trotzdem darüber reden, gibt es eine Art Ideenwettbewerb. Wieder ist politischer Aktionismus an der Tagesordnung. Die NPD soll verboten und eine Zentraldatei eingeführt werden, die Rede ist von einem Abwehrzentrum. Außerdem sollen die Sicherheitskräfte mehr Befugnisse bekommen. Dies sind Ideen, die eher von den wahren Tatsachen ablenken und in Zukunft das „Versagen“ oder die „Pannen“ im Sicherheitssystem verhindern sollen.
Nötig sind statt Aktionismus politische und personelle Konsequenzen:
– Eine lückenlose und schnelle Aufklärung muss offenlegen, inwieweit die Sicherheitsbehörden an den Morden beteiligt waren.
– Deutschland ist ein Einwanderungsland, und diese gesellschaftliche Realität muss sich im Grundgesetz wiederfinden.
– Gesetze, die speziell für „Ausländer“ gedacht sind, ebnen den Boden für Rassismus und müssen abgeschafft werden.
– Die Rolle eines Verfassungsschutzes, der rechtsradikale Parteien und neofaschistische Mörder finanziert und damit eine Gefahr für uns darstellt, wird immer fraglicher und muss überdacht werden.