Gemeinsam Gesicht zeigen gegen Antisemitismus und Rassismus,
Hass und Hetze.

Veröffentlicht von

von Hannelore Beutel,
Mitglied im „DIALOG – Verein für gleiche Rechte e.V.“ und 
Sprecherin des AKTIONSBÜNDNISESS GEGEN RECHTS # WIR SIND MEHR! BREMERHAVEN BLEIBT BUNT!

Bremerhaven, 14.Oktober 2019: Mahnwache für die Opfer von # Halle 09.10.2019

Trauer um die Opfer von Halle. Gegen Antisemitismus, Rassismus, Hass und Hetze. Rechten Terror stoppen!

„Rechter Terror hat in Deutschland erneut gemordet“. Mit diesem Satz – bezogen auf den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke – begann unser „Klare Kante gegen Rechts!“-Appell an die neugewählten Stadtverordneten. Das war am 1. Juli. Nur dreieinhalb Monate später müssen wir uns schon wiederholen.

Rechter Terror hat in Deutschland erneut gemordet.

Seit 1971 haben rechtsradikale Täter nun mindestens 231 Menschen getötet, 124 Sprengstoffanschläge, 2.173 Brandanschläge und diverse Banküberfälle verübt.

Der jetzige antisemitische Anschlag in Halle galt den Betenden in der Synagoge. Nur weil die Tür dem Angriff standgehalten hat, fiel der Massenmord aus. Ermordet wurden letztlich eine Frau auf der Straße und ein junger Mann im Döner-Imbiss. Weitere Menschen wurden verletzt.

Wir sind erschüttert. Wir teilen die Trauer der Angehörigen um Jana L. und Kevin S. Wir wünschen den Verletzten baldige und vollständige Genesung.

Ja, wir sind erschüttert. Über den sinnlosen und eigentlich vermeidbaren Verlust von Menschenleben und die Brutalität des Mörders, der sein Verbrechen auch noch selbst gefilmt hat.

Überraschend, sozusagen aus dem Nichts gekommen, ist dieses scheußliche Verbrechen jedoch nicht.

In Deutschland wurde die Existenz des Nazi-Terrors lange Zeit ausgeblendet oder verharmlost. Die Probleme beginnen aber nicht erst dann, wenn rechte Täter morden.

Wer diesen Mördern in sozialen Netzwerken Beifall klatscht, wer Wahlkampf macht mit der Drohung „Wir hängen nicht nur Plakate!“, wer seine Menschenverachtung auch noch als „Alternative für Deutschland“ verkauft – der ist schon längst ein Problem.

Wir haben sie nicht vergessen:

-die unzähligen Angriffe auf Asylheime seit den 90er Jahren
-den Mordfeldzug des NSU
-die rassistischen und antisemitischen Hasstiraden von Pegida und Co.
-die Relativierung der Nazivergangenheit durch Gaulands Vogelschiss-Vergleich.

Wir vergessen auch nicht die vielen anderen geistigen Brandstifter, die den Boden bereitet haben für Überfälle aller Art, für Menschenjagden und Mordanschläge.

Wir hören hin, wenn AfD‘ler Björn Höcke verkündet:

„Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen.“

Wenn er ansagt: „Menschliche Härten und unschöne Szenen werden sich nicht immer vermeiden lassen.“

Oder wenn er seinen Gegnern droht: Wir werden „leider ein paar Volksteile verlieren“, die „zu schwach oder nicht willens sind“ mitzumachen.

Wir erinnern uns auch daran, wie nah am Nazi-Sprech Seehofers Sprüche klangen:

„Deutschland ist nicht das Sozialamt der Welt.“

„Migration ist die ´Mutter aller Probleme´ “

Und dass er „bis zur letzten Patrone“ gegen „Zuwanderung in die Sozialsysteme kämpfen“ werde.

Das Verbrechen in Halle ist das schockierende jüngste Glied in einer langen Kette beunruhigender Ereignisse. Halle ist auch nicht nur ein „Alarmzeichen“.

Vorboten und Alarmzeichen gab es schon Hunderte! Ein Alarmzeichen aus den letzten Wochen ist es, wenn Nazis einen Baum, der zum Gedenken an das erste NSU-Opfer Enver Simsek gepflanzt wurde, einfach absägen… und wenn man dort stattdessen eine Bank zum Gedenken aufstellt, auch diese am nächsten Tag zertrümmert daliegt. Nazis stehen dafür ihre Gegner auszulöschen, selbst aus der gesellschaftlichen Erinnerung! Doch solche Zeichen wurden und werden nicht gesehen.

Jahrzehntelange soziale Spaltung der Gesellschaft sowie das Ignorieren und Verharmlosen dessen, was sich am rechten Rand zusammenbraute, hat dazu geführt, dass inzwischen nahezu alles wieder sagbar ist, was man eigentlich für überwunden hielt. Antisemitismus und Rassismus gehören zur Mitte der Gesellschaft.

So wundert es kaum noch jemanden, dass z.B. ein Funktionär der Partei Die Rechte am 1.Mai in Duisburg öffentlich und ungestraft in ein Mikrofon brüllen darf: „Wir sind damals wie heute Hitlers Leute!“ und in Berlin konnten kürzlich 1000 Nazis durch die Stadt marschieren und unter Polizeischutz demokratische Gegendemonstranten mit Sprechchören bedrohen wie: „Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot!“ oder auch „Ein Baum, ein Strick, ein Pressegenick“. Ausdruck der Verschiebung des Sagbaren waren im Frühjahr auch die Wahlkampfplakate, die massenhaft in Bremerhaven auftauchten. Die Slogans „Migration tötet“, „Israel ist unser Unglück“ und „Wir hängen nicht nur Plakate!“ waren nach Meinung der Staatsanwaltschaft weder bedrohlich noch volksverhetzend. Leider konnten wir weder die Stadt noch den Oberbürgermeister davon überzeugen, dem mutigen Beispiel etlicher anderer Städte zu folgen und die Plakate auch auf die Gefahr eines Rechtsstreits abzuhängen. Ich hätte mir hier mehr Mut gewünscht.

Während die soziale Spaltung des Landes den rechten Demagogen immer neue Einflussbereiche dort eröffnet, wo Menschen um ihren sozialen Abstieg fürchten müssen, tauchen obendrein -alte und neue- geheime rechtsterroristische Strukturen in Polizei, Militär und Geheimdienst auf.

Und wie wir von Razzien wissen, bewaffnen sich die Gruppen massiv, führen Todeslisten und bestellen schon mal Löschkalk und Leichensäcke.

Wer – wie Herr Gauck- vor dem Hintergrund solcher Entwicklungen ausgerechnet von den Linken mehr Toleranz einfordert, den kann ich beim besten Willen nicht mehr ernstnehmen.

Das gleiche gilt für den Richter, der Frau Mensah-Schramm kürzlich verurteilt hat. Für die, die sie nicht kennen: Frau Irmela Mensah-Schramm ist eine Dame von 73 Jahren. Seit dreißig Jahren entfernt sie auf eigene Kosten in deutschen Städten Naziaufkleber und übersprüht rechtsextreme Parolen mit Herzen. Ihr Motto heißt: Liebe versprühen! Herz statt Hetze. Im Dezember hat sie in Eisenach den Schriftzug NS-Zone, also eine Nazi-Sachbeschädigung- geändert in Herz-Zone. 300 € an eine gemeinnützige Organisation sollte sie dafür zahlen. Irmela, die selbst im besten Sinne gemeinnützig handelt, blieb standhaft und zahlte nicht. Nun wurde sie zu einer Strafe von 1050 € wegen Sachbeschädigung verurteilt. Wer sich an der Zahlung beteiligen möchte, kann das übrigens im Internet tun.

Fragwürdig ist für mich auch die Rolle vieler Medien, unsere Lokalpresse eingeschlossen. Ich denke da z.B. an die kenntnislose und verharmlosende Berichterstattung über die AfD-Wahlkampfveranstaltung in der Stadthalle, wo es um deren zutiefst nationalistisches und rassistisches Staatsbürgergeld-Modell ging. Hier hätte man sich verweigern müssen!

Besonders skurril wird es, wenn Nazis sich z.B. in sozialen Netzwerken ausgerechnet mit Bezug auf das berühmte Rosa Luxemburg – Zitat von der Freiheit der Andersdenkenden über ihre Ausgrenzung beklagen.

Nein, es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!

Der Entnazifizierungsartikel 139 im Grundgesetz hat das eigentlich ein für alle Mal geklärt. Und noch steht der da drin!

Gerne zitiere ich auch selbst nochmal Rosa Luxemburg. Sie hat vor dem ersten Weltkrieg in einer berühmten Rede den Menschen Mut zur Befehlsverweigerung gemacht:

„Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen oder anderen ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir: Nein, das tun wir nicht!“

Lasst uns den heutigen Nazis entgegenrufen:

Wenn uns zugemutet wird, euch die Städte zu überlassen und zuzuschauen, wie ihr unsere aus- und inländischen Brüder und Schwestern durch die Straßen jagt und ermordet, so erklären wir: Nein, das tun wir nicht!“